Veranstaltung: | Landesdelegiertenrat 13.04.2024 |
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Tagesordnungspunkt: | 7. Aktuelle Debatte/Verschiedene Anträge |
Antragsteller*in: | LAG Landwirtschaft und Naturschutz (dort beschlossen am: 21.03.2024) |
Status: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 22.03.2024, 14:17 |
V1: Aushöhlung des EU-Gentechnikrechts abwenden, Wahlfreiheit sichern, Kennzeichnung und Risikoprüfung aller Gentechnikpflanzen erhalten!
Antragstext
Der Landesdelegiertenrat von Bündnis 90/Die Grünen Mecklenburg-Vorpommern möge
beschließen:
1.) Der Landesverband Bündnis 90/Die Grünen Mecklenburg-Vorpommern lehnt die
ursprünglichen Pläne der EU-Kommission ab, mit der eine weitgehende
Deregulierung der so genannten Neuen Gentechnik erfolgen soll. Die zunehmende
Patentierung von Saatgut muss gestoppt werden!
2.) Der Landesverband Bündnis 90/Die Grünen Mecklenburg-Vorpommern setzt sich
mit seinen Gremien dafür ein, dass die Praktiken der „Neuen Gentechnik“
rechtssicher geregelt werden. Es muss mit einem klaren gesetzlichen Rahmen
grundsätzlich gesichert werden, dass
- das Vorsorgeprinzip bei der Regulierung der Gentechnik erhalten bleibt
- die umfassende Risikoprüfung für Mensch und Umwelt nicht aufgeweicht wird
- Rückverfolgbarkeit und Umweltmonitoring gesichert wird
- die ökologische Landwirtschaft durch die Anwendung entsprechender
Nachweisverfahren und Haftungsregelungen vor Verunreinigungen durch gentechnisch
veränderte Pflanzen aller Art geschützt bleibt
- eine Kennzeichnungspflicht für Lebens- und Futtermittel auch bei Anwendung der
molekularbiologischen Methoden der „Neuen Gentechnik“ gilt und
- Verbraucherinnen und Verbraucher damit weiter frei wählen können, ob sie
gentechnisch veränderte Lebensmittel konsumieren möchten oder nicht.
3.) Der Landesverband Bündnis 90/Die Grünen Mecklenburg-Vorpommern fordert die
Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern auf, im Zuge der Klimafolgenanpassung die
Erforschung und Entwicklung agrarökologischer Systeme und Anbaumethoden, sowie
ihre regionalen Anpassung und Umsetzung im Kampf gegen Klimawandel, Krankheiten,
Trockenheit, Vernässung oder Versalzung zu forcieren. Dazu gehört eine
auskömmliche Finanzierung der Landesforschung, die auch eine Beteiligung an
bundesweiten Forschungsprojekten garantiert. Die Erhaltung, Verbesserung und
Zugänglichkeit von vielfältigem Saatgut muss durch mehr staatliche Forschung und
Förderung von klassischer Zucht robuster, standort- und klimaangepasster Sorten
langfristig gesichert werden.
Begründung
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) urteilte 2018, dass Lebensmittel, die mit Methoden der so genannten Neuen Gentechnik produziert werden, ebenfalls als gentechnisch veränderte Produkte gelten und nicht ungekennzeichnet in die Supermärkte gelangen dürfen. Die „Neue Gentechnik“ fällt damit auch unter die vergleichsweise strengen Regeln des EU-Gentechnikrechts.
Im Widerspruch zu dieser Rechtssprechung des EuGH wurde im Juli 2023 durch die EU-Kommission ein Vorschlag für ein Gesetz vorgelegt, das den Anbau und die Vermarktung von fast allen Produkten aus „Neuer Gentechnik“ weitestgehend deregulieren soll. Das heißt: das bisher vergleichsweise strenge EU-Gentechnikrecht soll bei Anwendung der „Neuen Gentechnik“ aufgeweicht werden. Es besteht die Gefahr, dass Verbraucherinnen und Verbraucher aufgrund fehlender Kennzeichnung nicht mehr selber entscheiden können, ob sie gentechnisch veränderte Produkte kaufen wollen oder nicht.
Zahlreiche Agrar- und Umweltpolitiker*innen von Bündnis 90/Die Grünen sowie viele Landwirtschafts-, Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen kritisieren dieses Vorgehen und setzen sich seit Monaten für die Beibehaltung der EU-Standards bei der Bewertung von gentechnisch veränderten Pflanzen ein. Sie fordern ein verpflichtendes Zulassungsverfahren mit einer Risikoprüfung und Nachweisverfahren, die eindeutige Kennzeichnung von Produkten aus gentechnisch veränderten Pflanzen, Regeln für die Koexistenz von Landwirtschaft mit und ohne Gentechnik sowie die Wahrung des Vorsorgeprinzips.
Das Vorsorgeprinzip ist eines der Hauptprinzipien des EU-Rechts. Es dient der Risiko- bzw. Gefahrenvorsorge und wird in Artikel 191 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) festgelegt. Mögliche Belastungen bzw. Schäden für die Umwelt bzw. die menschliche Gesundheit, die durch die Einführung von Technologien entstehen können, sollen im Voraus vermieden oder weitestgehend verringert werden. Daher müssen Maßnahmen zum Schutz von Umwelt und menschlicher Gesundheit ergriffen werden.
Nach intensiven Beratungen in den Fachausschüssen hat das Plenum des Europäischen Parlaments am 7. Februar 2024 in Straßburg mehrheitlich für eine tiefgreifende Deregulierung der Neuen Gentechnik gestimmt. Damit wurde den Warnungen und Forderungen aus der Zivilgesellschaft weitgehend eine Absage erteilt. Einzelne Teilerfolge erzielten Änderungsanträge, mit denen die Kennzeichnungspflicht sämtlicher NGT-Pflanzen entlang der Wertschöpfungskette sowie eine verpflichtende Rückverfolgbarkeit beschlossen wurden.
Trotz dieser Teilerfolge bleiben jedoch grundlegende Mängel bestehen. Dazu gehören die fehlende Risikoprüfung und Anbauauflagen für die Marktzulassung und den Anbau von gentechnisch veränderten Wildpflanzen, Bäumen und Algen. Auch sollen Pflanzen aus der so genannten NGT 1-Kategorie, für die bisher die Regeln des EU-Gentechnikrechts galten, künftig von den Regeln des EU-Gentechnikrechts ausgenommen werden. Dazu werden Pflanzen gezählt, die „auch natürlich oder durch konventionelle Züchtung“ erzeugt werden könnten. Bis zu 20 „kleine“ Veränderungen am Erbgut sollen tolerabel sein. Aber schon eine einzelne kleine Veränderung kann große Auswirkungen im Organismus haben. Diese Einteilung ist deswegen wissenschaftlich fragwürdig.
Nach der Entscheidung des EU-Parlaments müssen sich nun die Agrarministerinnen- und -minister verständigen. Für eine gemeinsame Position braucht es eine qualifizierte Mehrheit. Um doch noch die Rechte der ökologischen Landwirtschaft und die der Verbraucher*innen vollständig zu wahren, sind deshalb die kommenden Monate entscheidend. Der Landesverband Bündnis 90/Die Grünen Mecklenburg-Vorpommern sollte dahingehend klar Position beziehen.
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