Veranstaltung: | Landesdelegiertenrat 13.04.2024 |
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Tagesordnungspunkt: | 6. Leitantrag "Demokratie verteidigen - Rechtsextremismus und soziale Ungleichheit bekämpfen" |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenrat Grüne MV |
Beschlossen am: | 13.04.2024 |
Antragshistorie: | Version 2 |
Demokratie verteidigen - Rechtsextremismus und soziale Ungleichheit bekämpfen
Beschlusstext
Viele Millionen Menschen haben in den vergangenen Wochen für unsere Demokratie
und gegen Rechtsextremismus demonstriert. Auch in Mecklenburg-Vorpommern waren
von den großen Städten bis in die Dörfer tausende Menschen auf der Straße, um
sich gegen das zu positionieren, was seit Jahren unser gesellschaftliches
Miteinander vergiftet und immer offener zutage tritt: rassistische Übergriffe,
demokratiefeindliche Äußerungen und bewaffnete Rechtsextreme, die einen Umsturz
planen.
Wir solidarisieren uns mit diesen Protesten und leiten daraus einen politischen
Handlungsauftrag ab. Wir bekämpfen einerseits die gefestigten rechtsextremen
Strukturen wirkungsvoll und gehen gleichzeitig die Herausforderungen an, die ihm
Nährboden bieten. Denn die soziale Ungleichheit, die gerade in Mecklenburg-
Vorpommern mit den Städten mit der höchsten Segregation, den niedrigsten Löhnen
und zum Teil abgehängten Dörfern sichtbar wird, befeuert die Zustimmung zu
Populismus und Autoritarismus.
Zwei Bereiche, sich ausbreitender Rechtsextremismus und soziale Ungleichheit,
die sich bedingen und die jeder für sich politisch beantwortet werden müssen, um
Sicherheit zu geben. Wir müssen unsere demokratischen Institutionen sichern und
schützen und der Verunsicherung in der Bevölkerung entgegenwirken, um den
rechtsextremen, demokratiefeindlichen Erzählungen endlich den Nährboden zu
entziehen.
Der Landesdelegiertenrat von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mecklenburg-Vorpommern
beschließt:
Wir fordern die Landesregierung dazu auf
I. Demokratie stärken und Rechtsextremismus bekämpfen
Gesamtstrategie gegen Rechtsextremismus erarbeiten
- eine ressortübergreifende Gesamtstrategie gegen Rechtsextremismus zu
erarbeiten und regelmäßig fortzuschreiben: Alle zur Verfügung stehenden
rechtsstaatlichen Mittel sind einzusetzen, um gegen eine weitere
Ausbreitung und die fortschreitende Radikalisierung der rechtsextremen
Szene vorzugehen.
Rechtsstaatliche Mittel gegen die AfD und ihr Umfeld ausschöpfen
- sich im Bundesrat für eine umfassende Prüfung der Erfolgsaussichten eines
AFD-Verbotsverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht und, wenn möglich
für dessen Einleitung, einzusetzen und sich mit der gesamten
Landesregierung zur Verfügung stehenden Material aktiv an der Prüfung der
Erfolgsaussichten zu beteiligen,
- Vereinsverbote von Vorfeldorganisationen der AfD wie z.B. der Identitären
Bewegung oder der Jungen Alternative zu prüfen,
- Finanzierungsströme im Rechtsextremismus konsequent offen zu legen und
alle rechtlichen Mittel auszuschöpfen, diese zu unterbinden,
- Strategien von und Gefahren durch rechtsextremistische Akteur*innen klar
zu benennen und die Öffentlichkeit darüber aufzuklären,
- eine Änderung des Landesverfassungsschutzgesetzes vorzunehmen, die dem
Verfassungsschutz die so genannte Verdachtsberichterstattung gestattet,
diesem also erlaubt, die Öffentlichkeit über eine Einstufung der AfD als
rechtsextremer Verdachtsfall zu informieren,
Sicherheitsbehören modernisieren, rechte Bedrohungen zurückdrängen
- dafür zu sorgen, dass sich der Rechtsextremismus als größte Gefahr für
unsere Demokratie auch in der Schwerpunktsetzung und der
Stellenorganisation der Sicherheitsbehörden widerspiegelt,
- die Sicherheitsbehörden unseres Landes dazu zu befähigen, rechtsextreme
Netzwerke und Strukturen schneller zu erkennen, sie umfassend zu
analysieren und konsequent aufzulösen,
- zu verhindern, dass V-Leute ihre Tätigkeit beziehungsweise zur Verfügung
gestellte Ressourcen als Strukturhilfe für die rechtsextreme Szene
missbrauchen,
- nicht vollstreckte Haftbefehle gegen Rechtsextreme zeitnah zu
vollstrecken,
- eine unabhängige „Forschungsstelle Demokratie” einzurichten, die
wissenschaftliche Analysen demokratiefeindlicher und -gefährdender
Bestrebungen erarbeitet, der Öffentlichkeit durch Publikationen und
Bildungsangebote zugänglich macht und somit auch dem Verfassungsschutz
eine wissenschaftsbasierte Grundlage für seine Aufgaben bietet,
- die Erstellung eines periodischen Sicherheitsberichts gesetzlich zu
verankern, um über eine verstärkte Dunkelfeldforschung weitere
Erkenntnisse zu der Entwicklung der Fallzahlen bei rassistisch und
antisemitisch motivierten Straftaten zu erlangen,
- für eine konsequente Entwaffnung bekannter Rechtsextremist*innen in
Mecklenburg-Vorpommern zu sorgen und sich hierfür unter anderem auf
Bundesebene für eine Verschärfung des Waffengesetzes einzusetzen, bei der
insbesondere der bisherige Regelversagungsgrund der verfassungsfeindlichen
Betätigung zu einem absoluten Versagungsgrund nach § 5 Absatz 1 des
Waffengesetzes heraufgestuft wird,
Staatliche Institutionen vor Verfassungsfeind*innen schützen
- im öffentlichen Dienst, unter anderem durch eine Änderung des
Landesdisziplinargesetzes, Mechanismen einzurichten, die eine
kontinuierliche Überprüfung der Verfassungstreue von Bediensteten
gewährleisten, mit dem Ziel, Verfassungsfeind*innen aus dem öffentlichen
Dienst konsequent zu entlassen
- zu prüfen, durch welche gesetzgeberischen Maßnahmen die Unabhängigkeit des
Landesverfassungsgerichts nachhaltig geschützt werden kann, und dem
Landtag zeitnah einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten,
Rechte von Betroffenen rechter Gewalt schützen und ausbauen
- die Förderung von Melde- und Anlaufstellen für Betroffene rechter Gewalt
und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu verstetigen und auszubauen,
- nach dem Beispiel Brandenburgs ein Bleiberecht für Betroffene von
rassistischen, rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Gewalttaten zu
schaffen und zu diesem Zweck die Ausländerbehörden im Erlasswege
anzuweisen, Abschiebungen nach § 60a Absatz 2 Satz 3 des
Aufenthaltsgesetzes in diesen Fällen auszusetzen,
Aufarbeitung und Erinnerung ausweiten
- die Förderung der Aufarbeitungs-, Erinnerungs- und Gedenkstättenarbeit
auszubauen,
- sich umfassend an der lückenlosen Aufklärung der rechtsextremen
Gewalttaten des NSU zu beteiligen, für das Versagen der
Sicherheitsbehörden eine Mitverantwortung zu übernehmen und daraus Lehren
für die künftige Sicherheitsarchitektur zu ziehen,
Rechte von Menschen mit Migrationsgeschichte ausbauen
- im Integrations- und Teilhabegesetz für die Kommunen verpflichtende
Regelungen über die Einrichtung von kommunalen Beiräten für Migration und
Integration und die Benennung von kommunalen Integrationsbeauftragten
vorzusehen,
- sich zum neuen Einbürgerungsrecht des Bundes zu bekennen und nach dem
Beispiel Hessens die Förderung der Einbürgerung als Aufgabe der
Landesregierung im Integrations- und Teilhabegesetz festzuschreiben,
II. Demokratiefeindlichkeit mit einer Stärkung der sozialen Infrastruktur
begegnen
Arbeit fair bezahlen und Armut abwenden
- geeignete Maßnahmen auf Landesebene zu ergreifen, mit denen die Armut in
Mecklenburg-Vorpommern, insbesondere die Armut von Kindern und älteren
Mitgliedern der Gesellschaft, zeitnah und deutlich reduziert werden kann,
- sich für eine umfassende Tarifbindung und gute Löhne einzusetzen,
- sich für ein sanktionsfreies Bürgergeld einzusetzen,
Demokratische Kultur stärken
- die Förderung von Demokratieprojekten zu verstetigen und auszubauen,
- Medien- und Digitalkompetenz sowohl in den Schulen vertiefend zu
vermitteln als auch umfassend in der Erwachsenenbildung zu integrieren,
unter anderem, um als Gesellschaft mit Desinformation und Fake-News einen
demokratischen Umgang zu finden
die demokratischen Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte von Kindern,
Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf Landes- und auf kommunaler Ebene
gemäß des am 01.04.2024 verabschiedeten Jugendbeteiligungs- und
Vielfaltgesetzes verbindlich auszugestalten,
- die Arbeit der Landeszentrale für politische Bildung und die
Jugendverbandsförderung auszubauen und aufgabengerecht zu finanzieren,
- sich auf Bundesebene für eine zügige Verabschiedung des Gesetzes zur
Stärkung von Maßnahmen zur Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung,
Extremismusprävention und politischen Bildung (Demokratiefördergesetz)
einzusetzen,
Teilhabe sichern, Qualität demokratischer Entscheidungen verbessern
- demokratische Teilhabe zu erleichtern, z.B. indem geloste Bürger*innenräte
im Land und in den Kommunen finanziell abgesichert und zu drängenden
Fragen eingerichtet werden,
- die Qualität demokratischer Entscheidungen durch eine stärkere
Orientierung an wissenschaftlichen Erkenntnissen (Evidenzbasiertheit) und
mehr Transparenz zu verbessern, hierzu sind alle notwendigen
Datengrundlagen zu schaffen und moderne Berichtswesen in allen
Politikfeldern einzurichten,
Herausforderungen solidarisch angehen
- sich auf Bundesebene für eine umfassende Umverteilung einzusetzen, zentral
sind hierbei eine angemessene Besteuerung von Super-Reichen und
exorbitanten Unternehmensgewinnen, sowie eine wirkungsvolle Steuerprüfung
und Steuerfahndung,
- für gleiche, umfassende Bildungs- und Lebenschancen für alle jungen
Menschen im Land Sorge zu tragen,
Klimaschutz, Zusammenhalt und Wirtschaftsförderung zusammen denken
- die Wirtschaft im Land noch umfassender zu unterstützen, sodass neue
Unternehmensansiedlungen realisiert, das Handwerk gestärkt und die
Transformation zu einer klimaneutralen Wertschöpfung gewinnbringend
gestaltet werden kann,
- die wirtschaftliche Teilhabe für Bürger*innen an Erneuerbaren Energien und
zu erleichtern und zu fördern,
- sich auf Bundesebene für die erstmalige Auszahlung eines sozialen
Klimageldes spätestens zum 1. Januar 2025 einzusetzen und dafür Sorge zu
tragen, dass jährlich ausreichend finanzielle Mittel aus den Einnahmen der
CO2-Bepreisung bereitstehen,
Gleichwertige Lebensverhältnisse im ganzen Land befördern
- die Kommunen finanziell dabei zu unterstützen, ihren Aufgaben in der
Daseinsfürsorge umfassend nachkommen zu können,
- die Gemeinwohlorientierung im Gesundheitswesen zu stärken und den Trend
hin zur Privatisierung umzukehren, für eine schnellstmögliche und
flächendeckende Modernisierung und Instandhaltung der kommunalen und
landeseigenen Infrastruktur Sorge zu tragen und die notwendigen
Finanzmittel einzuwerben,
- bedingungslose Begegnungsorte und das Ehrenamt für alle Generationen in
Kommunen finanziell zu unterstützen und auch in ländlichen Regionen zu
fördern,
- Mobilität als Grundrecht für alle anzuerkennen und für alle Menschen in
Mecklenburg-Vorpommern zu garantieren.